Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Gnädigen

Meinung von Anja Mayer, Sonthofen/Olten, 2.11.2023

Foto: Sabine Stöhr
Foto: Sabine Stöhr

Ein halbfertiger Satz, der sich tief in meiner Erinnerung festgesetzt hat. Gehört und erlebt habe ich diesen Satz 2014 als das Ashtar-Theater mit seinem Stück „The Gaza Monolouges“ in München im Rahmen der Palästina Tage gastierte. Diesmal war es den jungen Schauspielern und Schauspielerinnen möglich aus Palästina anzureisen und ihre Monologe selbst darzubieten. Diesmal mussten sie nicht, wie im Jahr 2010, von internationalen jungen Künstlern und Künstlerinnen im Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York vortragen lassen. Der Satz bildete das Ende einer Szene, in der ein junges Mädchen über ihre Träume erzählte. Ich werde darauf noch im Laufe des Textes zurückkommen.

Nun, angesichts der aktuellen, erschütternden, durch zu nichts rechtfertigenden Geschehnisse der letzten Wochen seit dem 7. Oktober 2023, habe ich erneut das Bedürfnis einen Beitrag zu leisten und nicht ohnmächtig in der Tatenlosigkeit zu verharren. Doch was kann ich eigentlich dazu sagen? Was gibt mir die Berechtigung zu diesem nun schon Jahrzehnte andauernden Konflikt in angemessener Weise Stellung zu beziehen aus meiner privilegierten Situation heraus?

In meiner Meinungsäußerung geht es mir nicht um die Distanzierung von völkerrechtswidrigen Handlungen von Gruppierungen oder Regierungen auf allen Seiten, die selbstverständlich sein sollte, da Zivilisten zutiefst leiden. Ich solidarisiere mich als Mutter mit den Müttern, die um ihre Kinder trauern und um deren Zukunft sie besorgt sind. Sie sind alle leidende Menschen, auf allen Seiten. Die Hervorhebung dessen, was wir zukünftig tun können, wird hier thematisiert und Menschen vorgestellt, die bereits einen wertvollen Beitrag auf ihre Art leisten.

In der Lesung (Koran) regt uns Gott dazu an, für den Frieden und die Geschwisterlichkeit einzustehen, also versuche ich das auch so gut ich das vermag.

2:208 „Ihr, die ihr glaubtet, tretet völlig in den Frieden ein und folgt nicht den Schritten des Satans! Er ist euch ein klarer Feind.“

3:103 „Und haltet alle an der Schnur Gottes fest, teilt euch nicht auf und gedenkt der Gunst Gottes über euch, als ihr Feinde wart und Er eure Herzen vereinigte. So wurdet ihr durch seine Gunst zu Geschwistern. Und ihr wart am Rand eines Grabens aus dem Feuer und Er errettete euch von ihm. Auf diese Weise macht Gott euch Seine Zeichen klar, auf dass ihr rechtgeleitet seid.“

49:10 „Die Gläubigen sind Geschwister (untereinander); versöhnt also eure Geschwister und seid Gottes achtsam, auf dass euch Barmherzigkeit erwiesen werde.“

In erster Linie berühren mich die Schicksale vor allem derer, die sich diesem Konflikt hilflos ausgeliefert sehen – das sind zu aller erst Kinder und neben ihnen auch ihre Mütter. Als ich 2012 zum Islam fand, waren die Demonstrationen in München 2014 für mich der erste richtige Berührungspunkt mit der palästinensischen Bevölkerung und auch deren Geschichte. Wir organisierten Mahnwachen in der Stadt und versuchten die Menschen auf die Situation aufmerksam zu machen. Zusätzlich riefen wir eine Ausstellung für einen befreundeten Grafik Designer aus Gaza ins Leben. All dies setzte natürlich voraus, dass ich mich mit der Thematik befasste, so wie das viele Menschen weltweit tun.

Tief bewegt und ermutigt auch meinen Beitrag zu leisten, hat mich die Aktion von «Women Wage Peace», welche zusammen mit den «Women Of The Sun» für den Frieden liefen, Hand in Hand mit der Hoffnung darauf, ihren Kindern eines Tages ein Leben in Frieden bieten zu können. Begleitet dazu hat Yael Deckelbaum das Lied «Prayer of the mothers» geschrieben. Denn sie geht davon aus, dass sich jede Mutter für ihr Kind ein Leben in Frieden wünscht.

Wenn wir uns vorstellen, dass eine Generation nach der anderen in Angst, Trauer und Gewalt aufwächst, dann führt das unweigerlich zu transgenerationalen, tief sitzenden Traumata in der Gesellschaft. Diese führen zu einem für uns alle unvorstellbar verzerrten Menschenbild, welches den Einen lehrt den Anderen zu misstrauen, zu hassen und als minderwertig zu deklarieren. Kein Weg führt an einer Auseinandersetzung damit vorbei. Es braucht mutige Menschen, die sich dieser Spirale widersetzen, die aufklären und Augen öffnen, auf dass die Herzen folgen mögen.

Die Organisation «Zochrot» besteht aus solch mutigen Menschen. Hier werden Menschen über die palästinensische Geschichte aufgeklärt, über die „Nakba“ – die palästinensische Katastrophe unterrichtet. Die Hoffnung dahinter ist ein Umdenken, ein Umgestalten des Miteinanders. Der Wille und das Verständnis für die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der eigenen Rolle in diesem Konflikt wird hoffentlich immer mehr Menschen – auf allen Seiten – bewusst.

Was ist also aus den Träumen der jungen Schauspielerin aus den Gaza Monologen geworden? Ich weiss es leider nicht. Sie hatte grosse Pläne und wollte Physik studieren. Doch am Ende des Theaterstücks, nachdem sie davon berichtete, wie sie aus ihrem Haus fliehen musste und wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, von Bomben in Stücke gerissen zu werden, da hatte sie nur noch einen einzigen Wunsch: in einem Stück zu sterben. Oh Gaza…

Mein Traum für die Bevölkerung im gesamten Gebiet wäre Frieden – Salam – Shalom für die Kinder, deren Mütter wie deren Väter. Ruhe im Herzen, Ruhe in der Seele und vor allem ein Umfeld geprägt durch Liebe und Zuneigung. Wie wir das schaffen können, dafür habe ich keine Lösung – doch was wir hier tun können, jeder Einzelne von uns, ist aufklären in schönster Art und Weise, mit den besten Worten. 

Die letzte Organisation, welche ich hier noch vorstellen möchte als Beispiel mutiger und inspirierender Menschen, sind die jungen Männer von den Campsbreakers.

Diese Gruppe junger Tänzer und Künstler engagiert sich vor allem in Flüchtlingseinrichtungen in denen Kinder leben. Durch ihre Tanz- und Kunstworkshops bringen sie das Strahlen in die Augen der Kinder zurück und lassen sie zumindest für eine Weile vergessen was sonst so um sie herum geschieht. Auch diese Arbeit erachte ich als unterstützenswert, um zumindest ein kleines bisschen Ruhe in den Herzen der Kinder zu säen. Der Mitgründer Ahmed Alghraiz lebte in Deutschland und konnte hier sogar eine Tanz-therapeutische Ausbildung absolvieren und hat somit eine ideale Grundlage, um mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu arbeiten und dabei zu helfen ihre Herzen zu heilen.

Ich möchte also jeden Einzelnen ermutigen seinen eigenen kleinen Beitrag zu leisten für ein friedliches Miteinander, gerade jetzt. Ich verfolge den Wunsch eine Generation an Kindern gross zu ziehen, die fähig ist zu lieben. Ich gehe davon aus, dass ich da für den Grossteil der Mütter spreche – wir alle lieben unsere Kinder, wir wünschen uns eine friedliche und sichere Zukunft für sie. Wir wünschen uns, dass sie ihre Träume verwirklichen können und gerechte, rechtschaffene Erwachsene werden. Dabei spielt die Nationalität und Religionszugehörigkeit einer Mutter keine Rolle. Lasst uns die Hoffnung nicht aufgeben, lasst uns dran bleiben auf dem Weg des Friedens.

3:8 „Unser Herr, lass unsere Herzen nicht abweichen, nachdem Du uns rechtleitetest, und gewähre uns Deinerseits Barmherzigkeit. Gewiss, Du bist der Gewährende.“

Abschliessend möchte ich noch folgendes Gedicht von Amir Martasawi in Anlehnung an Ahmad Shamlou teilen. Verfasst wurde es für die Friedensaktivisten Rachel Corrie, Vittorio Arrigoni und Tom Hurndall.

„Meine Tränen in jener Nacht waren das Lächeln meiner Liebe“

Tränen tragen ein Geheimnis in sich,
hinter dem Lächeln steht ein Geheimnis,
und die Liebe ist ein Geheimnis für sich.
Meine Tränen in jener Nacht
waren das Lächeln meiner Liebe.
Ich bin keine Geschichte,
die du erzählen kannst.
Ich bin kein Lied,
das du singen kannst.
Ich bin keine Stimme,
die du hören kannst,
oder etwas, das du lernen kannst.
Ich bin das gemeinsame Leid.
Schrei mich in die Welt hinaus.
Der Baum spricht zum Wald,
das Gras spricht zur Steppe,
der Stern spricht zur Milchstraße,
und ich spreche zu dir.
Sag mir deinen Namen,
leg deine Hand in meine Hand,
erzähl mir von deinen Traum,
von deiner Trauer.
Schenk mir dein Herz.
Ich habe deine Wurzeln erkannt
und deine tiefen Beweggründe begriffen.
Mit deinen Lippen
habe ich für die anderen Lippen gesprochen.
Deine Hände sind meinen Händen bekannt.
In der helllichten Einsamkeit
habe ich mit dir
wegen der Lebenden geweint.
Und auf dem düsteren Friedhof
habe ich mit dir
die schönsten Lieder gesungen,
denn die Gefallenen in diesem Jahr
waren die am tiefsten verliebten Lebenden.
Gib mir deine Hand,
deine Hände sind mit mir befreundet.
Zu dir spreche ich
wie die Wolke zum Sturm,
wie das Gras zur Steppe,
wie der Regen zum Meer,
wie der Vogel zum Frühling,
wie der Baum zum Wald,
denn ich habe deine Wurzeln erkannt,
und deine Stimme ist mit meiner Stimme befreundet.

Möge der Friede und die Barmherzigkeit Gottes euch stets begleiten.


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