Der Ramadan ist der Monat, in dem der Koran von Gott herabgesandt wurde (2:185) und durch den wir bestenfalls ein hohes Mass an Achtsamkeit und Spiritualität (2:183) erlangen. Der Begriff Ramadan bedeutet unter anderem auch: verbrannte Erde kurz vor dem erlösenden Regen.1 Demnach ist das Fasten im übertragenen Sinn gleichbedeutend mit einem Akt der spirituellen wie körperlichen Reinigung.
Der diesjährige Ramadan ist für einige bereits seit gestern Abend zu Ende oder für andere in der Endphase, kurz gesagt abhängig davon, ob entweder der astronomische Neumond vor der Morgendämmerung als Basis genommen wird oder die Berechnung des Zeitpunkts der frühestmöglichen Sichtung der Mondsichel oder der Zeitpunkt, wo man mit blossem Auge die Mondsichel erkennt. Für viele Gottergebene geht dies mit gemischten Gefühlen einher: auf der einen Seite Freude – aufgrund der abgelegten Schwere des Verzichts – und auf der anderen Seite Sehnsucht – aufgrund der erfahrenen Leichtigkeit des Fastenzustands und gemeinschaftlicher Ifṭārs (Fastenbrechen am Abend nach Sonnenuntergang, wörtlich Frühstück) und Saḥūrs (Mahlzeit im letzten Teil der Nacht vor dem Tagesfasten, wörtlich Speisen und Getränke). Frühstück bedeutet interessanterweise auch in anderen Sprachen Fastenbrechen (nach dem Fasten der Nacht): desayuno, breakfast, déjeuner. Wir konnten als Verein, trotz der räumlichen Distanz unserer Mitglieder, in den letzten fünf Tagen des Ramadans zu einem digitalen Ramadan-Rückzug (Iʿtikāf) zusammenkommen. Wir beteten gemeinsam, studierten den Koran und lernten Meditationstraditionen der Glaubensrichtungen der Baha’i, Sikhs, Christen und Hindus kennen.
Leider wurde der diesjährige Ramadan von einem eher harschen Platzregen zum Ende hin begleitet, der für Gottergebene weltweit Schmerz und Trauer bedeutet: So wurden wir Zeugen davon, wie israelische Polizisten am vergangenen Freitagabend in die al-Aqsa-Moschee (deutsch: fernste Moschee) im östlichen Jerusalem mit schweren Stiefeln eindrangen, Rauchbomben in die Gebetsstätte warfen und die darin friedfertig Betenden in Chaos versetzten wie vertrieben.2 Ein trotz aller Sicherheitserwägungen nicht zu rechtfertigender, unverhältnismässiger Einsatz, der die Gebetsstätte als heiligen Ort entweiht (22:40) und die Gefühle der Gottergebenen ausgerechnet in den letzten Tagen des Fastenmonats verletzte. Des Weiteren erreichte uns die verstörende Nachricht von einem Anschlag in der Nähe einer Mädchenschule in Kabul, bei dem leider viele Menschen getötet und noch mehr verletzt wurden.3 Bestürzende Geschehnisse, die uns zurecht in helle Aufregung versetzen und fast vergessen lassen, dass wir uns im Monat der Läuterung und der Besinnung befanden.
Wir hoffen und wünschen, dass wir in den anstehenden Festtagen die Inspiration dieses Monats in das weitere Jahr tragen können. Mögen wir für mehr Frieden, Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit einstehen. Möge unser Herr uns in unseren Bemühungen führen und uns weiterhin zu Wegen leiten, worin wir unsere Achtsamkeit pflegen und intensivieren können für die Liebe Gottes. Mögen unsere Rituale und Bestrebungen für die Menschheit dienlich sein und uns insgesamt zu besseren Menschen werden lassen. Möge uns die Enthaltsamkeit eine Lehre durch das ganze Jahr sein.
Wir danken dem Herrn, der uns den diesjährigen Fastenmonat in Frieden und Sicherheit bezeugen liess. Wir wünschen Euch und Euren Liebsten frohe und herzhafte Ramadan-Festtage (ʿĪd al-Fiṭr)! Möge unser Schöpfer uns allen Seine Barmherzigkeit, Gnade und Fürsorge zukommen lassen.
Der unendliche Frieden wie Segen Gottes seien mit Euch!
[1] Weitere Bedeutungen: Herabkommen von Regen gegen Ende des Sommers, aber noch vor dem Herbst; das Reinigen der Erde vom Staub; barfuss auf einer Strasse, die die Sonne erhitzt hat, laufen und verbrennen; das Schwert zum Schärfen bearbeiten.
[2] Israeli police attack Palestinians at al-Aqsa mosque in eviction protests – YouTube
[3] Kabul Blasts Target School Going Girls, Kill Over 55 People – YouTube
4 Kommentare
Barth · 12. Mai 2021 um 14:09
Welch wunderbare Worte, die einen gerade nochmals nachdenklich stimmen und tiefe Demut spüren lassen.
Steger Kassama · 12. Mai 2021 um 21:03
Besinnliche und kraftspendende Worte die einem motivieren, das geübte im Ramadanmonat für den Rest des Jahres beizubehalten. Traurig das Ende, doch lass uns nicht verzagen, wenn jeder seinen persönlichen Teil für ein friedvolles Beisammensein und miteinander leben erbringt, kann jeder und Jede etwas zum Guten bewirken. Möge Allah eure guten Taten vermehren.
Meno · 13. Mai 2021 um 9:29
Hallo liebe Geschwisster
Ich hoffe der Allmächtige und Barmherzige vergibt uns alle Sünden und schenkt und etwas von seiner Huld.
Darf ich bitten, wo uns empfohlen wurde dieses Fest zu halten?
Oder gibt es da einfach nur das Fasten im Ramadan ohne hinterher zu festen?
Friede
Vorstand · 13. Mai 2021 um 11:43
Friede Meno, es gibt keine Pflicht des Festens. Das Wort ‹Îd wird im Koran erwähnt im Sinne eines Festes, als regelmässig zurückkehrender Brauch.
Wir können also festen, ohne dies zur Pflicht zu erheben. Das friedliche, soziale Zusammenkommen ist eine gute Möglichkeit Beziehungen zu pflegen und Erfahrungen auszutauschen.