Al-Rahman – mit Vernunft und Hingabe begrüsst den Frauen*streik, der am 14. Juni in der Schweiz stattfindet. Gerade auch muslimische Frauen sind in der Gesellschaft und in den eigenen Gemeinschaften mehrfach Diskriminierungen ausgesetzt. Wir rufen dazu auf, diese Probleme sicht- und hörbar anzusprechen und gemeinsam konstruktive Lösungsvorschläge zu suchen und umzusetzen. Wir wünschen uns deshalb die Teilnahme möglichst vieler Muslime, nicht nur an diesem Tag, damit die Werte der Gottergebenheit («Islām») wie Gerechtigkeit, gemeinschaftliche Verantwortung oder der Beitrag zur Verbesserung sozialer Umstände nicht nur in Worten, sondern auch in Taten verwirklicht werden.
Unser Verständnis einer gottergebenen Lebensordnung (dīn) umfasst nicht nur das gemeinschaftliche Zusammenkommen zur Pflege der Religion, sondern zieht auch eine gesellschaftliche Verantwortung nach sich. Wir begrüssen deshalb den Frauen*streik und möchten ihn zum Anlass nehmen, auf die vielen Probleme besonders in unseren Gemeinschaften hinzuweisen.
Gerade muslimische Frauen sind leider häufig mehrfach intersektionaler Diskriminierung in der Gesellschaft ausgesetzt. Diese Diskriminierungen geschehen sowohl immer noch in den eigenen Gemeinschaften als auch seitens der Dominanzkultur der Mehrheitsgesellschaften. Die Ergebnisse sind, dass wesentliche gesellschaftliche Probleme ignoriert, stattdessen Symptom-Debatten und Symbolpolitik in Form von Niqab-Verbote und Kopftuch-Debatten auf den Rücken muslimischer Frauen ausgetragen werden. Es ist deshalb wichtig, dass gerade Muslime sichtbar auf gesamtgesellschaftliche Probleme aufmerksam machen und an Events gerade wie diesem Frauen*streik teilnehmen, um den Ursachen dieser Ungleichbehandlung und der Diskriminierungen entgegenzuwirken.
In vielen Gemeinschaften ist es leider so, dass muslimischen Frauen gegenüber nur Lippenbekenntnisse geäussert werden, wenn es um das Prinzip der Gleichbehandlung und der selbstbestimmten Orientierung geht. Frauen ist es praktisch nicht möglich, als Imamin einer Gemeinde vorzustehen. Viel zu wenige Frauen können den muslimischen Vereinen und Verbänden überhaupt vorstehen, da sie von einer überwältigenden Mehrheit der Männer nicht wirklich ernst genommen werden. So ist es beispielsweise in der Ahmadiyya-Gemeinschaft für eine Frau systematisch nicht möglich, auf nationaler Ebene die Position der Amira (Präsidentin) einzunehmen. Es gibt Moscheen, in denen sich Frauen mehrere Tage zuvor anmelden müssen, damit sie diese überhaupt erst besuchen dürfen. Frauen werden teils systematisch an muslimischen Feiertagen oder anderen wichtigen gemeinschaftlichen Anlässen ausgegrenzt und manchmal direkt dazu aufgefordert, zuhause zu bleiben, was einem Verbot des Eintritts in der Moschee gleichkommt. Und es ist islamisch strikt verboten, Frauen davon abzuhalten, Moscheen zu betreten. Auch sind mitunter kulturelle Einflüsse dafür verantwortlich, dass zum Beispiel beim Fastenbrechen eine Geschlechtertrennung rigider und strikter verlangt wird, obwohl dieser Zwang (vgl. Vers 2:256) dem Koran widerspricht:
24:61 … Es ist für euch kein Vergehen, gemeinsam oder getrennt zu essen. …
Es gibt viele theologische Möglichkeiten, Frauen islamisch begründet einzubeziehen und die Geschlechtertrennung aufzulösen. Wir rufen deshalb dazu auf, die koranischen Werte wieder aufleben zu lassen, indem muslimischen Frauen in den Gemeinschaften ein nicht nur theoretisches, sondern praktisch gleichberechtigtes Mitspracherecht eingeräumt wird und den Frauen Möglichkeiten zur Mitgestaltung gewährt werden.
2:187 … So sind sie euch ein Kleid und ihr seid ihnen ein Kleid. …
Wir rufen insbesondere die Männer dazu auf, den Frauen mehr Gehör zu schenken und ihre aktive Unterstützung für die Anliegen und Aktivitäten von Frauen anzubieten. In anderen Worten müssen die Männer anstatt den Frauen im Weg zu stehen ihnen als Verbündete zur Seite stehen:
9:71 Die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einander verbündet …
Auch die gesellschaftliche Situation darf nicht vergessen werden. So kämpfen viele Frauen damit, ihre Zugehörigkeit zum Islam rechtfertigen zu müssen, da sie angeblich vom Mann zur Konversion oder Akzeptanz der Religion genötigt worden seien. Auch dies ist eine Form der Diskriminierung und Herabwürdigung der Selbstbestimmung der Frau. Wir rufen deshalb auch dazu auf, die Selbstbestimmung der Frauen anzuerkennen und sie nicht alle über einen Kamm zu scheren. Gerade die Kopftuch-Debatte zeigt deutlich, dass muslimischen Frauen der freie Umgang mit dem Stück Tuch erheblich erschwert wird, das Tragen mitunter gar gefährlich werden kann. Leider ist es so weit gekommen, dass das Kopftuch anzuhaben problematisch sein kann, so wie auch das Kopftuch abzulegen problematisch sein kann.
Wir laden ein, trotz Prüfungen und Arbeit, am Freitag den 14. Juni 1–2 Stunden zu investieren und gemeinsam unsere Stimme für die Rechte der Frauen zu erheben. Des Weiteren laden wir ein, langfristig gemeinsam auf theologischer, gesellschaftlicher und privater Ebene für die Verbesserung der sozialen Umstände zu sorgen. Viele Menschen auf der Welt geniessen diese Privilegien leider nicht, lasst uns auch für sie ein Zeichen setzen.
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